DAV Sektion Niederelbe-Hamburg

Nachrichtenblatt Nr. 1/2001

Bolivien 2000
Mehr als drei Mal so groß wie Deutschland, aber nur so viele Einwohner wie Niedersachsen, geprägt durch die Anden, das Amazonastiefland und die Steppe des Gran Chaco. Früher einmal war Bolivien größer, aber viele haben sich bedient: die Spanier nahmen Gold und Silber, die Chilenen den Zugang zum Meer, die multinationalen Konzerne.... aber das ist ein anderes Thema.
Drei Sechstausender wollten wir im Juli 2000 besteigen, darunter die beiden höchsten des Landes. Wir, eine 14-köpfige Gruppe des DAV Summit Club, bestehend aus 10 Deutschen, 3 Österreichern und einem Schweizer, Alter zwischen 30 und 67, 11 Männer, drei Frauen. Von Frankfurt ging es mit Varig über Sao Paulo nach La Paz (La Paz heißt auf deutsch übrigens "Frieden", eigentlich "Mutter Gottes des Friedens"). Der dortige Flughafen "EI Alto" ("Der Hochgelegene") liegt auf über 4000 m Höhe. Jeder Bergsteiger weiß, was das bedeutet.
Um uns zu akklimatisieren, besichtigten wir die Hauptstadt mit seinen Indio-Märkten, archäologische Stätten in der Umgebung und den höchsten schiff baren See der Welt, den Titicaca-See, der 15 Mal größer ist als der Bodensee. Eine Bootsfahrt brachte uns auf die Sonneninsel, wo wir unsere erste Nacht im Zeit verbrachten und am nächsten Morgen den Sonnenaufgang über der Cordillera Real, der Königskordillere, erlebten.
Auf in die Berge, vorbei an Lamaherden zu einem Eingeh-5000er. Gehen am Fixseil und Abseilen wurde nebenbei geübt. Trotz dieser leichten Eingehtour musste ich mich am Abend vor unserem ersten 6000er, dem Huayna Potosl, zwei Mal im Zelt übergeben. Nachdem mein Magen weder Nudelsuppe noch Tee bei sich behielt, schrieb ich den Gipfel ab, denn viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen, ist bei hohen Bergen bekanntlich das A und 0. Erfreulicherweise ging es mir am nächsten Morgen besser und ich konnte das Tempo meiner Seilschaft mithalten. Eine Steilstelle und ein luftiger Gipfelgrat waren die Hindernisse, dann standen wir auf dem Gipfel in 6088 m Höhe. Für mich war es insgesamt 6000er Nr. 4.
Zum Thema Fixseile sei gesagt, dass ich ihren Einsatz als Sicherungsmittel legitim finde, nicht jedoch zum Hochhangein wie bei einem Klettersteig. Wie dem auch sei, wir verlegten unseren Standort an die chilenische Grenze, zum Nevado Sajama, dem mit 6542 m höchsten Gipfel des Landes (ältere Atlanten enthalten übrigens reihenweise falsche Angaben, was die Berge Boliviens anbelangt). Der Sajama ist ein Vulkan, der für Wind und Kälte bekannt ist und z.T. heikle, vereiste Firnflanken aufweist. Besonders das Hochlager auf 5400 m Höhe wird mir in Erinnerung bleiben. Unser Drei-Mann-Zelt stand auf einem schmalen Felssporn, direkt rechts unter uns eine senkrechte Felswand, links ein halber Meter Platz, dann eine vereiste abschüssige Firnflanke. Dies hatte zur Folge, dass größere "Geschäfte" nur einen halben Meter vom Zelteingang deponiert werden mussten. Naja, tiefgefroren war's nicht mehr so schlimm. In der Nacht riss der Sturm bei zwei Zelten die Apsis vom Zelt. Aufbruch um 3 Uhr nachts bei sibirischer Kälte. Vier Mann blieben gleich im Zeit, letztlich erreichten 8 von 14 Teilnehmern über nicht enden wollende Hänge den Gipfel. Ich konnte gut mithalten, doch obwohl ich noch nie zuvor auf einem so hohen Gipfel stand, wollte sich keine Freude einstellen. Ich war ausgepumpt und fror entsetzlich, so dass ich nach einigen Fotos fluchtartig den Gipfel verließ und weiter unten, in meine Rettungsfolie gehüllt, auf die anderen wartete. Die Freude sollte erst später kommen.
Zurück nach La Paz, Duschen, Wäschewechsel. Erneuter Aufbruch. Ziel: der Nevado Illimani (6462 m), nicht ganz so hoch wie der Sajama, doch mit 9 Gipfeln über 6000 m ein Riesenmassiv, dazu ein ästhetischer Genuss. Wie relativ doch alles ist: beim Monte Rosa-Massiv im Wallis zählen wir Europäer bis zu 10 Viertausender, in Bolivien dagegen würde man das ganze Massiv nur als einen einzigen Gipfel zählen. Auch die Fahrt zum Basislager des Illimani ist eine Geschichte für sich, es ging über eine aufgelassene alte Minenstraße, die eigens für uns von 10 - 12 Mann mit Schaufel und Spitzhacke präpariert wurde. An den heiklen Stellen stiegen wir lieber aus...
Das Hochlager am Illimani lag - wie schon am Sajama - auf 5400 m Höhe. Inzwischen gut akklimatisiert, erreichten 12 von 14 Teilnehmern bei vergleichsweise angenehmen Temperaturen den höchsten Punkt, den Südgipfel. Zum sechsten Mal stand ich auf einem 6000er, zum 40. Mal auf einem Gipfel über 4000. Ich gebe zu, das ist ein schönes Gefühl, doch was sagen Zahlen? "Den wahren Gipfel wirst du nie erreichen", hat Reinhard Karl einmal gesagt, "was zählt, sind die Stunden, Minuten, Sekunden, wie du sie verbringst". Technisch gesehen handelte es sich um typische Eistouren mit Flanken von ca. 45 Grad Steilheit, doch die Höhe, die Kälte und der schwere Rucksack machen den Unterschied aus.
Was bleibt zu sagen? Ich schreibe diesen Bericht einen Tag nach der Brandkatastrophe am Kitzsteinhorn. Ich bin dankbar, dass mich ein gnädiges Schicksal bisher vor Unfällen jeglicher Art bewahrt hat. Ich bin auch meiner Frau dankbar, die mein Hobby zwar nicht teilt, mich aber immer wieder ziehen lässt.
Klaus Grade (Stade)

ZURÜCK ZUR HAUPTSEITE
THI 07.09.01